Musik von Stäbler, Schubert und Shim

Konzerte

Ein Konzertprogramm,
in dem folgende Werke ineinander verwoben sind:

Gerhard Stäbler, DASURIM (2021)
Franz Schubert, Sonate a-moll D784
Kunsu Shim, Das Andere, Inneres (2019)

Aufführungen
: 9. Februar 2020 im Museum am Dom/Trier im Rahmen von Opening22 „Internationales Festival für Aktuelle Klangkunst in Trier“ (mit Uraufführung von Kunsu Shim, Das Andere, Inneres) – Klavier/Ji-Youn Song – Saitenspiel/Arnold Marinissen
: 16. Juli 2021 in der Klosterkirche/Nordshausen im Rahmen der Ausstellung „flüchtige übergänge“ – Klavier/Ji-Youn Song – Saitenspiel/ Marvin Köhler
: 11. November 2021 in der Zentralbibliothek der Stadt Essen – Klavier/Ji-Youn Song – Saitenspiel/Marvin Köhler (mit Uraufführung von Gerhard Stäbler, DASURIM)
: 18. November 2022, um 20 Uhr im Gießhaus der Universität Kassel im Rahmen der Konzertreihe „soundcheck“ – Klavier/Ji-Youn Song – Saitenspiel/Marvin Köhler, https://soundcheck-kassel.de/id-88.html


Schubert, Shim und Stäbler werden eng miteinander verbunden, jedoch nicht im üblichen Sinne, indem sich ein jüngerer Komponist von einem alten Meister inspirieren lässt und die eigene Komposition als eine Art Auslegung seines Werkes konzipiert. Shims und Stäblers Kompositionen sind weder Paraphrasen, noch Anlehnungen an Schubert, sondern reflektieren das Essenzielle in seiner Musik. Die Zusammenstellung der drei Werke ist jedoch als eine notwendige und zugleich zufällige Anwesenheit einer Realität zu verstehen, wie drei Wesen, die gänzlich anders zu sein scheinen, doch unauflösbar in einem Raum verbunden sind. 
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„Dasurim“ – auf deutsch „einstimmen“, „führen“, „kontrollieren“ u.a. – ist in der klassischen koreanischen Musik etwa des 17. Jahrhunderts die Bezeichnung eines kurzen Vorspiels, um in die richtige Stimmung des Spielens zu kommen. Dabei stimmt man sein Instrument, kontrolliert seinen Atem und spielt melodische Fragmente. Stäblers neues Werk mit demselben Titel wurde explizit als Vorspiel für dieses Konzert geschaffen. Es ist jedoch eine Art instrumentales Rezitat, das ebenfalls wie in der koreanischen Musik „einstimmen“ möchte, aber untergründig gleichzeitig Schuberts musikalischen Verlauf im „Ohr“ hat. Stäbler formuliert „Dialoge“ – mit Schuberts harmonischen Feldern, mit Shims Klangvariabilität und unter den Spielern selbst. Stäbler artikuliert das musikalische „Sprechen“ auf unterschiedliche Weise, vor allem, indem als Bezug zu Shims Klavierstück beide Spieler an den Tasten und auf den Saiten zusammenwirken, um – miteinander und/oder gegeneinander – einen Binnenraum des Klanges zu schaffen, der auf die Musik danach vorbereitet. Einen Raum, der aus einer kindlich-suchenden Unruhe heraus ein Fenster für (noch) Unbekanntes öffnet.

„Das Andere, Inneres“ ist das erste Stück einer Trilogie für Klavier(e). Allen drei Stücken kann der Begriff „Variabilität“ zugeschrieben werden. Nicht nur der Verlauf, sondern auch die Gestik, die Dichte, die Pausen, die Wiederholungen und auch alle klanglichen Details befinden sich in stetiger Veränderung. Die Variabilität des Klanges wird vor allem durch die Mitwirkung eines Saitenspielers veranlasst, der die Klaviersaiten „temporär“ mit zahlreichen Gegenständen präpariert und de-präpariert (bezüglich der variablen Präparation sagte N. A. Huber in einem Gespräch mit Shim, dass er das erreicht hätte, was J. Cage immer wollte). Gelegentlich sollte der Saitenspieler den Klang, den der Tastenspieler gerade erzeugt, in eben diesem Augenblick verändern. Sämtliche Töne werden kurz und leicht angeschlagen. Sie können aber auch durch eine bestimmte physische Konstellation, die sich ebenfalls unvorhersehbar, jedoch nie zufällig ergibt, unbeabsichtigt verlängert werden. Dazu folgende Auszüge aus Notizen, die Shim während der Arbeit an der Komposition machte: „Prinzip der Anwesenheit“ / „Zögern (Fließen/Halten)“ / „der in einer ursprünglichen Zeit geöffnete Raum“ / „Außen-Sein = Innehalten“ / „eine positive Unachtsamkeit“ / „Das Nebensächliche als Gehilfe (Helfen oder nicht helfen?), Wirklichkeit und Seinsnotwendigkeit“ etc.


Die a-moll Sonate von Schubert wurde 1823 komponiert und steht heute an einer besonderen Stelle in seinem Schaffen. Sie entstand vier Jahre nach der Sonate in A-Dur. Diese a-moll Sonate ist gänzlich anders als die früheren Sonaten, und zwar deshalb, weil Schubert auf ornamentale Elemente radikal verzichtet. Außerdem bleiben hier die Motive, die gewöhnlich als Mittel zur Entwicklung benutzt wurden, wie ein rohes Material allein-für-sich-stehend. Daher gleicht diese Sonate eher einem architektonischen Bauwerk. Auch ihre drei Sätze scheinen zunächst nichts miteinander zu tun haben. Sie wirken vielmehr wie drei gänzlich unterschiedliche Aggregate, die auch Robert Schumann später merkwürdig fand. Die a-moll Sonate gleicht der Zusammenstellung dreier Wesen, die sich radikal unterscheiden. Blickt man aber auf die Beziehung der Tonarten, in denen die drei Sonatensätze stehen, und auch die Partikel eines zerlegten Themas, lässt sich eine innere Verbundenheit entdecken wie die von Liebe, Schmerz und stetigem Wandel. Schubert schrieb 1820 das folgende Gedicht „Der Geist der Welt“ (Auszug): Laßt sie mir in ihrem Wahn / Spricht der Geist der Welt / Er ists, der im schwanken Kahn / So sie mir erhält. 
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Das Konzert bietet eine Möglichkeit des Hörens an. Ein Hören? Ja, ein Hören des Anders-Seins. Dies gilt auch für die Komponisten und Spieler. Denn eine Komposition und das Spielen sind nichts anderes als ein Sich-anders-Hören. Hören im üblichen Sinne ist das Hören des Gehörten: wir hören, um etwas wiederzuhören. Es ist ein Hören des Bewohnten, des Gewohnten. Um zu Hören, sollte man aber das Gehörte aus dem Gedächtnis verdrängen. Musik-Hören ist nicht Sich-dabei-so-oder-so-fühlen, sondern nur bewußt Vernehmen. Musik ist jenseits der Sprache, sie lässt sich nur mit den Sinnen hören, als wären wir selbst ein Ton, eine Pause oder das Verschwinden eines Geräusches. Denn das Leben heiße – nach F. Pessoa – „ein Anderer sein“. Musik ist ein Du. 
(Kunsu Shim)